Eclipsed: Burg Herzberg Festival 2004

Breitenbach am Herzberg (Hessen), 15.07.-18.07.2004

The Hippies strike back again. Zwei Jahre nach dem letzten offiziellen Herzberg Festival (auf die Kopie in Wilhelmsthal gehen wir an dieser Stelle nicht ein) wird am dritten Juliwochenende das Gelände unterhalb des Herzbergs bei Breitenbach wiederbelebt. Letztendlich ist es der Initiative “Burg Herzberg-Festival” um Hauptinitiator Andreas Schnell, der übrigens auch schon früher an der Organisation dieses Hippiefestivals beteiligt war, zu verdanken, dass es nach einer eher unfreiwilligen Pause von einem Jahr, in der sich der ehemalige Hauptverantwortliche in den Osten absetzte, hier wieder “Freak Again” heißt. Klar ist es ein Risiko, aber man setzt auf die alten und treuen Fans, für die diese Veranstaltung schon immer ein Highlight im vollgestopften Festivalsommer war. Zwar lässt das Wetter – es regnet ununterbrochen – im Vorfeld zu wünschen übrig, was unangenehme Erinnerungen an das verschlammte Gelände der letzten Jahre aufkommen lässt, aber immerhin ist für dieses Wochenende die Rückkehr des Sommers angekündigt...

Am Donnerstag jedenfalls deutet noch nichts darauf hin, dass sich an den darauffolgenden Tagen die Sonne blicken lassen wird, aber es hört wenigstens auf zu regnen. Bei der Ankunft am Donnerstagabend sind die Campingbereiche schon angenehm gefüllt, gut für die Bands, die das Festival eröffnen sollen. Und dieser Start am ersten Tag wird eingeläutet von einer spontanen Jam-Session einiger Psych- und Rockmusiker sowie den Bands NOVA DRIVE und VERSPIELTE ZEIT, die in ihrer relaxten Mischung aus Psych und Rock, Kraut und Space fast schon symptomatisch für “Herzberg” sind und die Ankommenden auf ein angenehm relaxtes Niveau herunterholen. Spätestens hier spürt man, was einem im letzten Jahr gefehlt hat.

Dass es am Freitag schon um 11.00 Uhr losgeht, ist auch eine Neuerung, die aber gut passt, weil bis zu diesem Zeitpunkt schon viele Besucher eingetroffen sind. SKY'S SHADOW beeindrucken mit einem für dieses Festival ungewöhnlichen, aber mitreissenden Mix aus melodischem Hardrock und Metal. Aber vielleicht legte man die Leverkusener Band auf diese frühe Stunde um die Mittagszeit, damit es auch jeder mitbekommt, dass hier unten, vor der Bühne, schon etwas los ist. Die nachfolgenden RAMSES entführen mit ihrem progressiven Krautrock die Zuschauer in die 70er, als man mit Platten wie “La Leyla” und “Etemity Rise” zur Kultband avancierte. Nachdem der aus Manchester stammende MARK GILLESPIE und Band mit seinem angenehmen Rock'n'Soul für einen, auch auf das Wetter bezogen, überaus sonnigen Nachmittag sorgte, lässt RANDY HANSEN, die leibhaftige Inkarnation von Jimi Hendrix, sprichwörtlich die Sau raus. Die Stärke des Vorzeigegitarristen, der auch optisch der Ikone zum Verwechseln ähnlich sieht, liegt dann auch in der Wiederbelebung von Klassikern wie “Foxy Lady”, “Purple Haze” und – selbstredend – dem “Star Spangled Banner”, dessen Zerhackstückelung damals wie heute wohl gerechtfertigt war und ist. Nach diesem intensiven Overkill hat es die aus Karlsruhe stammende Band TRIGON schon schwer, die Zuschauer zu halten, aber der schräge, wenn auch erstmals durch Keyboardteppiche abgemilderte Psych/Avant/Jazz/ Progrock der orange behemdeten Band läutet sehr slow und relaxt den Abend und damit die Dinge ein, die heute noch kommen sollen. Schlagzeugderwisch Bernd “Nossi” Noske und seine krautigen BIRTH CONTROL sind alte Bekannte dieses Festivals und mit ihren Alltimefavorites wie “Trial Trip” und natürlich “Gamma Ray” eine sichere Bank für ausgelassene Stimmung. Alles in allem inszeniert man eine Zeitreise durch eine nun schon fünfunddreißig Jahre währende Bandgeschichte. MR. QUIMBY'S BEARD werden anschließend ihrem Geheimtipp-Status gerecht und entführen die hier Anwesenden in ihre überaus bizarre halluzinogene Welt aus Psych, Space Rock und Magic Mushrooms, während es bei GURU GURU mit einem sichtlich gut aufgelegten Mani Neumeier noch einmal rhythmisch und überaus aufputschend zur Sache geht. Man ist an dieser Stelle wieder einmal erstaunt, wie schnell doch sechzehn Stunden am Stück in der richtigen Umgebung und mit der richtigen Musik vergehen.

Eben das gilt auch für den Samstag, der genauso sonnig beginnt, wie der Freitagabend zu Ende ging. Und was passt zu diesem Samstagvormittag besser als ein entspannter Mix aus Folkore und Pop, inszeniert von FARFARELLO und ihrem Teufelsgeiger Manni Neumann. Gastpercussionist NIPPY NOYA beschert der Musik der alteingesessenen Folkrocker eine überaus rhythmische, temperamentvolle Latinnofe und die nun nach und nach eintreffenden Besucher verwandeln den Platz vor der Bühne schon bald in eine ausgelassene Partyzone. Danach präsentieren die wieder aktivierten KARTHAGO ihren bluesig-souligen 70er Jahre-Hardrock, wobei dieses Mal - vielleicht anbetrachts des (immer noch!) schönen Wetters – eher das bluesige Element zum Tragen kommt. Da ist es doch eine Wonne, auf dem Festivalgelände die Runde zu machen, um all die kulinarischen und optischen Genüsse zu inspizieren oder auch selbst zu genießen. Keine Frage, das Burg Herzberg Festival ist in dieser Wiederauferstehung ein echter Gewinn. Ein weiterer, überaus angenehmer Pluspunkt des diesjährigen Festivals ist, dass man sich auf den Stageplan verlassen kann, es kaum Verspätungen gibt und, was noch wichtiger ist, die angekündigten Bands überhaupt in der richtigen Reihenfolge spielen. Kurz darauf wird von der Bühne eine Unwetterwamung durchgesagt, die sich dann leider auch bewahrheitet. Ein starker Sturm, verbunden mit einem heftigen Gewitterguss, fegt schlagartig das Festivalgelände leer. Der Spuk dauert genau eine halbe Stunde, bevor Hellmut HATTLER mit seiner Band die Bühne betritt. Der Kraan-Bassist, der schon seit geraumer Zeit mit seinem smoothen Clubjazz weltweit für Begeisterung sorgt, schafft es, den Platz wieder zu füllen und die Tücken meteorologischer Unbeständigkeiten vergessen zu lassen. Währenddessen erfährt das eclipsed-Team beim Wiederaufbau seines Standes spontane Hilfe von einigen Musikern wie etwa Hardy und Ray von Mr. Quimby's Beard oder dem Bassisten Frank von Verspielte Zeit (Danke, Jungs!). Gottseidank wird nach einer knappen Stunde der Himmel wieder blau und die Welt heiter. Zurück zum Programm: Nach Hattler bleibt es jazzig, wenn auch diesmal im Rockkontext. Das FROGG CAFE aus New York City tischt eine herrlich duftende Kaffee-Melange auf. Zum Höhepunkt gerät ein knackiges Vollfusionteil “2001 – Also sprach Zarathustra”. Leider ist dieses Stück nicht auf deren überaus gelungener aktueller CD “Creatures”. Jedenfalls kann sich kaum einer dem vernickelten, abwechslungsreichen und nochinteressanten Jazz'n'Progressive Rock entziehen, weder der zufällig Hinzugekommene noch der vorsichtige Skeptiker und auch nicht die, welche es sich etwas abseits gemütlich gemacht haben. Man will die Band um Sänger und Trompeter Nick Lieto nach einem atemberaubenden Konzert überhaupt nicht mehr von der Bühne lassen. CARAVAN sind alte Könner und zelebrieren ihren Canterbury-Artrock mit viel Spiellaune. Die von Geoff Richardson genussvoll gespielten Fidel und Mandoline verleihen keltischen Charme und die große Dynamik von kunstvoll ruhigen Passagen hin zu ungestümeren Improvisationen lässt keinerlei Langeweile aufkommen. Mit den ANEKDOTEN kommt für alle Art- & ProgRockfans wohl der ultimative Leckerbissen. Die Musik der bereits 1996 auf dem Herzberg erstmals aufgetretenen Band ist ein Hochgenuss zwischen New Artrock und King Crimson - ebenso schön wie Anna Sofi, die ihrem Mellotron die verwunschensten Klänge entlockt. Leider nur einmal quält die Schöne mit den langen Haaren ihr Cello. Leider verträgt das deutsche Wetter soviel Schönheit nicht und so geht zum zweiten Mal ein ganz und gar fürchterliches Gewitter herab, so dass die Anekdoten mitten in dem genialen Titeltrack ihres aktuellen Albums “Gravity” leider abbrechen müssen. Der Sturm weht fast das Schlagzeug von der Bühne. Man hofft, dass der Gig nächstes Jahr (14.-17.07.2005!) zu Ende gespielt werden kann. Mit exakt einstündiger Verspätung, um Punkt 0 Uhr treten dann die Meister des Spacerock auf. Nur zu dritt stehen sie da oben. Dave Brock, Alan Davey und Richard Chadwick alias HAWKWIND. Doch welches Feuerwerk an psychedelischen Sounds und ultimativen Klassikern des Genres sie da abliefern, ist immer noch beeindruckend. Das Ganze Würzen sie noch mit einer gehörigen Prise tranceartiger Elektronik und einer kongenialen Slideshow. Danach ist alles so schön bunt, dass man nur schwer von diesem Trip herunterkommt. Aber es spielen ja noch POTHEAD, die mit ihrem extrem nach vorn preschenden, erdigen Stoner'n'Hardrock die vielen, die noch zu nächtlicher Stunde ausharren, zum Mitgrooven einladen, wenn auch etwas langsamer als gewohnt. Naja, wahrscheinlich liegt es nur daran, dass sie wegen der falschen Biersorte zunächst gar nicht mehr auftreten wollten. Es gibt halt doch auch solche und solche Freaks...

Nun, am Sonntag, heißt es wieder Abschied nehmen, und obwohl heute noch fünf Bands und Projekte aufspielen sollen, liegt schon etwas Wehmut in der Luft. Denn trotz aller wettertechnischen Unbeständigkeiten ist dieser Neuanfang in Sachen “Herzberg-Festival” ein voller Erfolg – nicht zuletzt, weil es noch nie so angenehm und sympathisch über die Bühne ging wie in diesem Jahr. Aber auch der Sonntag entpuppt sich schnell als Leckerbissen für die Freunde jeglicher musikalischer Stilrichtungen. Zum wievielten Mal OLE LUKKOYE aus St. Petersburg hier spielen, weiß man gar nicht mehr, aber der spacige Trancerock der Russen ist in seiner Wirkung und seinen Ausmaßen wie geschaffen für ein Festival wie dieses. JAHCOUSTIX & DUBIOS NEIGHBOURHOOD schaffen mit ihrem Positive Vibrations Roots Reggae das richtige gute Laune Feeling für einen Sonntagnachmittag, ein Feeling, das die DISSIDENTEN nahtlos aufgreifen. Zusammen mit der australischen Sängerin Esther Bertram und dem indischen Vokalakrobaten Manickam Yogeswaran spielen Uwe Müllrich, Marlon Klein und Friedo Josch ihre Weltmusikklassiker aus einer über zwanzigjährigen Karriere in den ge-remixten Fassungen der letzten beiden Alben, was den transglobalen Aspekt dieser Musik nur verstärkt und nebenbei überaus clubkompatibel gerät. Bei diesen groovigen Sounds stört es auch nicht, dass es wieder einmal anfängt zu regnen. Die Hippies harren trotzdem aus, folgt doch mit PANTEON ROKOKO einer der mitreissendsten Acts des Festivals. Latin Ska, Party pur vor und auf der Bühne, das Highlight des Tages. Was kann noch kommen? Ein gemütlicher Ausklang mit dem Miniorchester der 17 HIPPIES, der Genuss der abendlichen Sonnenstrahlen und ganz besonders die Vorfreude auf Burg Herzberg 2005 (Infos: www.hippies-united.de). Die Freaks werden wiederkommen – und noch einige mehr...

C.Agthe / W.Sehrer / M.Wicker, Eclipsed, 9/2004
Fotos: Frank Seifert